Fragen: Christian Salvesen
Antworten: MARIANANDA
Mariananda, Sie haben bereits ein sehr interessantes und erfülltes Leben hinter sich.
… hinter mir… na dann
Bin ich nun tot?
Eine sehr seltsame Art der Begrüßung
Denn: In meinem Erleben lebe ich ja gerade jetzt und ich meine das nicht abgedroschen-philosophisch: Da ist immer nur das JETZT, alles andere ist Story….Sondern: Ist dann jetzt nicht mehr interessant? Nicht mehr erfüllt?
Welche Stationen und Erkenntnisse erscheinen Ihnen heute besonders wichtig?
(Oder ist alles nur „Story“)
Natürlich ist alles nur Story, aber ohne diese Story, egal, ob eine riesen-große geträumte Illusion, oder eine einmalige Gleichzeitigkeit von Geschehen und Geschehendem, würden Sie mir keine Frage stellen und ich Ihnen keine Antwort geben …
Wie sagte Ramana so schön: If you know it is story why don’t you act according to the story.
Also dann: Sie fragen, ich antworte. JETZT.
Wichtig?
Was soll ich dazu sagen…
Das Einzige, was mir wirklich dazu ein-fällt: Dass mir die Kraft, die Zuversicht und das Vertrauen mitgegeben wurde, schon mit 12 Jahren, am Todestag meiner Mutter, Gott und mir selber das Versprechen geben zu können: Ich werde herausfinden, was es mit dem Sinn dieses Lebens auf sich hat.
Als Kriegs-Bomben-Kind, Halb-Waise und Dauer-Umzugs-Wanderin hatte ich bereits Anteil an zu viel Leid und Verzweiflung in meiner Umgebung erfahren, um dieser Frage noch ausweichen zu können.
Ich habe mich damals in dem kleinen Alpendorf vor dem Berg „Nebel-Horn“ hingekniet und laut zu Gott gesagt: Ich verspreche es, aber jetzt muss ich erst trauern gehen.
Es gab immer wieder diese Schnittstellen, Weggabelungen, an denen sowohl dem inneren als auch dem äußeren Leben Genüge getan werden musste.
Manchmal machte mich das sehr hilflos, solange bis ich „innen und außen“ als eine Einheit, als Spiegelungen erkennen konnte.
Dazu haben mir sicher auch meine vielfältigen Ausbildungen, unter anderem ein Philosophiestudium und die Ausbildung zur Jungianischen Psychoanalytikerin geholfen. Bewusst-machen und Schatten-arbeit ist mir also schon lange als etwas sehr Vertrautes und Wert-volles bekannt.
Eine weitere Eigenschaft, die mich immer treu begleitet hat:
Ich habe immer gerne guten Lehrern zugehört, im Sinne von „wirklich vertrauend-auf-sie-gehört“. Die Achtung vor den Ahnen, wie die Indianer sagen, und den „Älteren“ ist bis heute eine große Unterstützung. Krishnamurti hat sehr ausführlich über diese Fähigkeit des „Zu-hören-Könnens und -Wollens“ geschrieben.
Die Hilfsbereitschaft eines Albert Schweizer, die Gewaltfreiheit eines Mahatma Gandhi, das Mitgefühl einer Mutter Teresa, die Weisheit und die Bedingungslosigkeit eines Jesus, um nur einige wenige „bekannte Leit-Bilder“ zu nennen, aber ebenso die Rechtschaffenheit meiner Deutschlehrer, das ständige Hinterfragen vor allem eines Onkels, die direkten, unschuldigen Fragen von Kindern, all das hat mich immer gefördert und gefordert.
Im Moment strebe ich an, die Sanftmut des Dalai Lama zu verwirklichen … aber das dauert noch. Seine Geduld habe ich schon erreicht.
Ein zentrales Thema in Ihrer Bewusstseins-Arbeit ist, dass wir uns mit unseren Schatten, mit Konflikten und Gewalt auseinandersetzen.
Das Wort auseinandersetzen gefällt mir hier nicht so richtig.
Ich will Bewusst-Sein durch Bewusst-Werden verwirklichen, denn erst dann, wenn mir etwas wirklich bewusst ist, dann verändert es sich von alleine.
Lassen sie mich Ihnen ein Beispiel geben: Normalerweise – auch unter vielen sogenannten Satsang-Lehrern sehr verbreitet – besteht dieses Bewusst-Werden aus einem rein mentalen „Erfassen“, Bewusst-Sein wird verwechselt mit „etwas-denkend-nachvollziehen-können“; etwas denken, wahrnehmen oder fühlen können, wird verwechselt mit „sich seiner Wirklichkeit-bewusst-sein“.
Ken Wilber sagt darüber: Die höchste Stufe des Mentals kann verblüffend ähnlich gedeutet werden wie die der ersten Stufe der intuitiven Schau-Logik, der ersten Stufe einer echten Verwirklichung.
Verwirklichung bedeutet, dass eine vorangegangene niedrigere Stufe tatsächlich nicht mehr erlebt und damit nicht mehr gelebt werden kann.Beispiel: Wenn ich Zorn bis hinter seinen Ursprung zurückverfolge, kann ich nie wieder Zorn verursachen. Weder innen, noch außen. Das bedeutet wirkliche Transzendenz.
Womit ich eine Beantwortung einer Ihrer späteren Fragen bereits mit einschließe.
Was bedeutet Erwachen, Erleuchtung, Verwirklichung?
Ich unterscheide da sehr deutlich und klar.
Es finden sicherlich viele verschiedenste „Erwachens-Erlebnisse“ oder „Bewusst-Werdungen“ im Verlauf eines JEDEN Lebens statt. Wir nennen das gemeinhin auch Erfahrungen sammeln.
Viele Menschen werden dadurch schlauer, vernünftiger, manche sogar weiser. Das bedeutet, dass viele Menschen im Verlauf ihres Lebens Abstand zu dem von ihnen Erlebtem bekommen. Aber mit Erleuchtung oder gar Verwirklichung hat das nicht sehr viel zu tun.
Als Erwachenwürde ich jede reflektierte, bewusst strukturierend und bewusst gemachte Erfahrung bezeichnen, die Fähigkeit, also eine Abstraktion einer Erkenntnis zu bilden. Bewusst-Sein wird sich zunehmend seiner eigenen Inhalte bewusst. Erwachen ist prozess-haft, wobei es Ebenen, Hierarchien und erkennbare, aufeinander aufbauende Entwicklungen gibt.
Was die meisten Lehrer und ihre Schüler heute erfahren haben, ist eine „Erweiterung ihres Bewusst-Seins“. Ein Auftauchen als Bewusst-Seins-Inhalt dessen, was C.G. Jung „die transzendente Funktion“ nennt.
Also ein bis dahin nicht erkanntes transzendentes Bedürfnisinnerhalb der Ich-Organisation des Denkens-Fühlens-Wahrnehmens-Apparates des Ego. Einschließlich aller als Siddhis oder als außer-sinnliche Wahrnehmungen bekannten Phänomene, die es so gibt. Aber in jedem Falle zu der Ego-Super-Ego-Organisationgehörend. Dieser Prozess kann möglicherweise zu seinem Ende kommen, wenn er gewissenhaft und treu begriffen und gelebt wird.
Als Erleuchtungwürde ich erst die zuverlässige, dauerhafte Enthaftung – die tatsächliche Freiheit von den sinnhaften Inhalten eben diesen Bewusstseins bezeichnen. Das bedeutet, dass sich dem, dem Erleuchtung zuteil wurde, tatsächlich eine echte, dauerhafte Ver-Wandlung in seinem tagtäglichen, sichtbaren Sein zeigt.
Eine tiefe Bedürfnislosigkeit, Bescheidenheit, Gewaltfreiheit, Toleranz und Anteilnahme am Leben zeichnen diese wenigen lebenden Menschen aus.
Verwirklichung:Welch hehres Ziel, welche Ziel-Setzung. Ein wahrer Mensch werden: Sicher das Ziel der Evolution, das Leit-Bild für alles, vielleicht sogar der einzige eine Sinn dieses Planeten, des Erscheinens dieses Universums. Da halte ich es mit Sri Aurobindo: „Wenn das er-glüht, bin ich nicht mehr von dieser Welt.“
Warum ist das so wichtig?
Zurück zu Ihrer Frage:
Warum ist die Auseinandersetzung mit dem Schatten so wichtig?
Weil nur eine gelebte Spiritualität von Bedeutung ist. Der Schatten kann sich sowohl auf negative Fixierungen, als auch auf positive Verdrängungen beziehen, die weit über das psychologisch- neurotische Aufarbeiten hinausgehen. Was in unserem Zusammenhang hier von Bedeutung ist, dass das Individuum sich seines göttlichen Kerns, seines Urvertrauens, seines Gehaltenseins, seines wahren, natürlichen Seins weitestgehend entfremdet hat, selbstverloren durch ein scheinbar sinn-entleertes Universum taumelt, sich dessen bewusst wird, und dadurch zur Heilung finden kann.
Was bieten Sie da an? Wie sieht Ihr Ansatz aus?
Ich arbeite heute immer mehr mit einigen, wenigen aber sehr tauglichen Instrumenten:
Dem Diamantkörper,einem von mir entwickelten siebenstufigen Erkenntnismodell, resultierend aus einer Verbindung von geleiteter Meditation, Chakrenlehre und Enneagram, das Lehr-Buch: Der Diamantkörperund für Anfänger mit thework vonByron Katie.
Sehen Sie Anzeichen für eine stärkere Hinwendung zu Fragen wie:
Wer bin ich wirklich? Was ist dieses Leben?
Zum Teil ja, aber die Gefahr des Missbrauchs besteht darin, dass sich diese Frage oft nur zur noch größeren narzisstischen Befriedigung der geleugneten, verdrängten oderspiritualisierten Ego-Bedürfnissegestaltet: Nicht “Freiheit-wovon”, sondern oft missverstanden als “Freiheit-wozu”.
Wie schätzen Sie die Entwicklung in unserer Kultur bzw. Gesellschaft ein? Bahnt sich tatsächlich ein Neues Bewusstsein an?
Neues Bewusstsein bahnt sich immer dann an, wenn ein bestimmter Siedepunkt der Unzufriedenheit mit dem, was bisher gelebt wurde, auftaucht. In der Psychoanalyse nennen wir das den Leidensdruck. Erst wenn der Druck sich so erhöht, dass momentanes Da-Sein als Leiden erkannt wird, bin ich bereit, für eine neue Stufe des Erkennens „aufzuwachen“.
Insofern leben wir in einer wunderbaren Zeit. Der Leidensdruck der modernen Gesellschaften ist beträchtlich. Also die beste Zeit für Bewusst-Werdung, Erwachen und Wandel. Erst wenn ich etwas er-leide, bin ich bereit für Hin-Wendung und für Vertiefung. Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Sinnlosigkeits-Gefühle und Gedanken sollten also nicht weiter als etwas Negatives betrachtet werden, sondern als Mut-Macher, als Auf-Wecker dienen und der Anfang zu vertiefter Bewusst-Werdung und daraus resultierend, zur Fähigkeit weniger verdunkelter, entfremdeter Bewusst-Seins-Erfahrung verhelfen. Je bewusster Denk- und Fühl-Inhalte werden, desto direkter kann Leben als beglückend, erfüllend und zufriedenstellend gelebt werden. Das gilt sowohl für den einzelnen Menschen, als auch für eine ganze Gesellschaft.