Aufsatz für SEIN-HEFT September 2013
Hingabe.
Nimm, Gott, und empfange meine ganze Freiheit, mein Gedächtnis und mein
Besitzen.
Du hast es mir gegeben, Dir, Gott, gebe ich es zurück.
Alles ist Dein, verfüge DU nach Deinem Willen.
Gib mir Deine Liebe und Gnade, denn diese genügt mir.
Ignatius von Loyola.
Mariananda, schreibst du bitte etwas zu Hingabe.
Hingabe, ja, das ist das allerwichtigste immer, überall…aber darüber dazu davon…schreiben?
Hingabe ist so etwas Persönliches, so etwas zutiefst Intimes, so etwas unbeschreiblich Unbeschreib – bares. Es ist eine Gnade, ein Geschenk, eine Erfüllung und eine Bestätigung aller Hoffnungen und aller Träume. Es ist die in das tägliche Leben geborene Unendlichkeit.
Es ist Liebe in ihrer Absolutheit, bedingungslos und großartig, unterscheidend und annehmend, durchdringend und herzzerreißend, so stark und so ergeben gleichzeitig, dass nur ein vollkommener Still – heits – zustand in der Lage ist, sie zu ertragen, sich von ihr ergreifen und tragen zu lassen. Immer gegenwärtig, aber nur in seltenen Momenten sichtbar in ihrer absoluten, vollkommenen Schönheit, Kraft und Herrlichkeit.
Dazu kann ich nicht schreiben.
Nicht immer sind wir in der Lage, unsere Herzen so offen zu halten, dass wir das, was wir mit den Augen des Herzens sehen, auch ertragen können. Wir könnten sogar sagen, ein offenes Herz und ein klarer Verstand widersprechen sich nicht. Aber weder sind unsere Herzen immer offen, noch sind wir immer bei unserem täglichen, alltäglichen Tun bei klarem Verstand.
Nur zwei sehr „alltägliche“ Beispiele:
Tiere, die in Massen-Käfig-Haltung eingesperrt werden, die mit Antibiotika vollgepumpt werden, deren Fleisch wir aber widerstandslos essen…
Handys, die kein Mensch auf der Welt braucht, deren chemisch-technische Bestandteile aber jeden Tag tausende von chinesischen Wanderarbeitern und afrikanischen Untertagearbeitern das Leben kosten…
Hingabe ist das, was Amma, die indische Weise und Heilige, uns allen täglich, seit Jahrzehnten, vorlebtund wozu sie sagt: Erleuchtung ist das bedingungslose „Ja“. Immer, überall, ganz. Was aber keineswegs bedeutet, unterschiedslos alles für „gut und richtig“ zu halten, bloß weil es in der Welt erscheint. Bedingungslose Liebe, die genau unterscheiden kann, was töricht, brutal, unwissend und dumm ist, ebenso wie sie erkennt, was gnädig, liebend und wahr ist.
Hingabe ist das, was Nelson Mandela ausdrückte, ehe er das Gefängnis nach 27jähriger Haft verließ: Er sagte: „Ich lasse alles hinter mir, was war, ich vergebe allen und mir, was geschehen ist. Ich beginne genau hier jetzt neu, sonst gibt es für mich keine Freiheit.“ Was keineswegs bedeutete, dass er alles vergessen hat, verdrängt hätte, was an Unrecht und Leid ihm und seinem Land Südafrika zuvor geschehen ist.
Hingabe ist der Weg, Hingabe ist das Leben und Hingabe ist das Ziel.
Hingabe wird oft verwechselt mit Unterwürfigkeit, wird von einem sich als übergeordnet wähnendem Denken interpretiert als eine besondere Art des Masochismus. Hingabe wird als religiöser Ekstase-Zustand, als eine Art hirnloser hysterischer Anfall, als weibischer Über-Erregungszustand aufgrund sexuell unbefriedigten Triebgeschehens diagnostiziert.
Hingabe wird gedeutet als Aufgabe des eigenständigen Denkens, Handelns und Wahrnehmens. Hingabe wird eingeordnet als Schwäche und als Abhängigkeit.
Hingabe wird angesehen als etwas, das „weiblich, anhänglich, empfänglich, gefühlig, intuitiv, ununterschieden, leicht dümmlich, schwächlich, religiös, esoterisch, spiritistisch, undifferenziert und last not least als sehr unwissenschaftlich“ erscheint.
Im Gegensatz zu freier Selbst-Bestimmtheit, (die eigentlich besser „Ich-Bestimmtheit“ heißen sollte), die gedeutet wird als „männlich, frei, unabhängig, denkend, unterscheidend, intelligent, stark, naturwissenschaftlich, frei von religiösem Unsinn, differenziert und natürlich als ausschließlich wissenschaftlich“.
Das stimmt sogar alles auf einer psychologisch interpretierenden, dual denkenden Ich-Ebene sehr genau.
Aber ein bedeutender Irrtum ergibt sich, wenn erstens beide als Gegensätze gesehen werden, wobei ein Teil sich dann immer dem jeweilig anderen überlegen – oder unterlegen – wähnt.
Je nach kultureller Ausrichtung wird immer das eine gegen das andere ausgetauscht, erhöht und verehrt. Muttergesellschaften gegen Vatergesellschaften, Jesus-Kult gegen Marienverehrung. Muttergottheiten gegen Vatervisionen. Wenn Männer sich als richtiger denkend als Frauen sehen, Frauen sich richtiger fühlend als Männer erfahren.
Erst in einer Vereinigung der scheinbaren Gegensätze ergibt sich ein stimmigeres Bild. Aber noch bleibt alles „nur“ mental interpretierendes Denken. Eine gedachte Konstruktion, die aber aufgrund ihres Erscheinens ihre Bestätigung als „ultima-ratio“ (hic) erhält.
Der zweite Irrtum ergibt sich, wenn Hingabe auf der Ebene eines immer dualen Ego-Bezugsystems erfahren und gedeutet wird (richtig-falsch, gut-böse, wahr-unwahr, Sieger-Verlierer, erfolgreich-erfolglos, usw.).
Hingabe unterliegt, ebenso wie alle anderen begrifflichen Beschreibungen, in ihrer jeweiligen Erfahrung und ihrem jeweiligen Entwicklungszustand der Einsicht dessen, der sie beschreibt.
Das Bewusstsein bestimmt das Sein. Aber es gilt ebenso: Das Sein bestimmt das Bewusstsein.
Relationship, not Religion: Hingabe als größte Aufgabe, das habe ich neulich in einem Blog gelesen.
Die allerintimste Beziehung, derer ich gewahr werden kann, ist die zum Selbst. Zu (meinem eigenen) innersten Selbst, zu dem was ich wirklich bin. Es wird wahrgenommen als gleichzeitig „mein“ eigenstes, persönlichstes und gleichzeitig als etwas vollkommen unpersönliches, allem innewohnenden aber „nichts und niemandem Zugehörendes“.
Und seltsamerweise schrecken genau davor die meisten Menschen zurück. Sie haben gelernt, dass sie eigenständig und unabhängig denken sollen, dass sie Individuen sind, dass Freiheit darin besteht, eine eigene Individualität zu entwickeln, autonome Personen mit einem eigenen selbst-bestimmten, freien Willen zu werden.
All diese Postulate entstanden zu Recht als Aufforderung an eine damals unterdrückte, in ökonomischer, geistig-spiritueller (Cuius regio eius religio: in wessen Gebiet du lebst, dessen Glauben hast du zu befolgen) Abhängigkeit und Knechtschaft lebenden unmündigen, ungebildeten, schicksalsergebenen, von wenigen Herrschenden ausgebeuteten Vielen.
Aber es wurde damals zeitgebunden nur erkannt als ein sich den „Gebildeten und Besitzenden“ gleich zu machendes Aufbegehren und Erheben.
Seit dem Beginn der Aufklärung haben sich diese Fortschritte auf vielen bedeutenden Gebieten soweit ent-wickelt, dass die Menschheit sich nun einem weiteren Ent – Wicklungs – Geschehen bewusst zuwenden kann.
In Anlehnung an die Chakrenlehre können wir sehen, dass zuerst der physische Hunger befriedet werden muss (Chakra 1, Basischakra = überleben), dann wird der emotionale Hunger gestillt (Chakra 2, Kreativitäts- und Sexualchakra = gut-böse), anschließend beginnt die Entwicklung von Bildung und Denken (Chakra 3 = richtig-falsch). Befinden sich die Bedürfnisse der ersten drei Chakren in einem relativ zu-friede-nen Ausgleich, wird ab Chakra 4, dem Herz-Chakra, der seelisch-geistige Hunger nach innerem Frieden und äußerer friedfertiger Gerechtigkeit sichtbar. Eine Sehnsucht nach Überwindung der Gegensätze beginnt aufzukeimen.
Die Hingabe an das innere Sein, an das, was man auch das „Herz im Herzen“ nennt, wird zunehmend zu einer Not-Wendig-keit und zu der Grundlage der ich-überwindenden, ego-zentrischen Weltsicht. Das Allgemeinwohl, die universale Bedingtheit, und das „Du“ nimmt zunehmend den Platz des vorher um sein Überleben besorgten „kleinen-ich“ ein.
Der endgültige Schritt zu wahrem Sein und zu lebendiger Verwirklichung des angeborenen menschlichen Potentials kann erst nach der Erlangung von ökonomischer, emotionaler und seelisch-geistiger Reife erkannt und vollzogen werden.
Erst mit der Erlangung dieser relativen Freiheiten kann nun eine Transzendierung zu einer endlosen, absoluten Freiheit beginnen, sich zu entwickeln. Nun kann sich ereignen, dass der innere Ruf zum ersten Mal gehört wird: Nicht mehr mein Wille, sondern Dein Wille möge geschehen.
Einem noch um das leibliche, emotionale und denkende Überleben kämpfende „kleinen-ich“ mag dieses Sehnen als geradezu paradoxer Ruf zurück in die Steinzeit schrecklichster Abhängigkeiten und unterdrückter vitalster Bedürfnisse erklingen.
Hingabe erscheint auf diesen Ebenen ausschließlich als „Her-Gabe“, als Verlust von Freiheit, Unabhängigkeit und Ich-Bestimmtheit.
Erst mit dieser als „neu“ erscheinenden Erfahrung, dem Ruf der Sehnsucht zu folgen, nun zu glauben, dass dein tiefster Grund nicht im „ich“, sondern im Selbst erst erfahren wird und sich dein unendliches Sein endlich verwirklicht, eröffnet sich dir eine Tiefe und Erlösung, die du bisher immer nur in der Erfüllung der Ich-Erfordernisse gesehen hattest.
Dir war bis hierher noch nicht bewusst, dass es eine weit größere Freiheit, eine weit tiefere Erfüllung und eine weit umfassendere Verwirklichung deines Seins gibt als im schmalen Rahmen eines „klein-ich“ auch nur für vorstellbar gehalten wurde.
Hingabe ist Liebe in ihrer Absolutheit, bedingungslos und großartig, unterscheidend und annehmend, durchdringend und herzzerreißend, so stark und so ergeben gleichzeitig, dass nur ein vollkommener Still – heits – zustand in der Lage ist, sie zu ertragen, sich von ihr ergreifen und tragen zu lassen. Immer gegenwärtig, aber nur in seltenen Momenten sichtbar in ihrer absoluten, vollkommenen Schönheit, Kraft und Herrlichkeit.