Mariananda

Das Ego

Treuer Diener oder eingebildeter Herrscher.

Teil 1

Mind, Bewusstsein und Ego

Mind:

Der Begriff „Mind“ wird teilweise widersprüchlich und verwirrend in der neueren Literatur verwendet. Durchgesetzt hat sich jedoch, besonders in der amerikanischen Literatur und folglich auch in der deutschen Übersetzungs-Literatur damit das gewöhnliche, alltägliche Denken, Fühlen und Wahrnehmen durch den Filter „Verstand“ zu benennen.

Der Begriffe wie Vernunft, Verstand, Wahrnehmung, Denken, Verstehen sind seit jeher Gegenstand philosophischen, naturwissenschaftlichen, neurobiologischen, psychologischen, religiösen und spirituellen Forschens gewesen.

Wichtige Schriften in der westlichen Welt finden sich bei Platon, Aristoteles, Cicero, Descartes, Meister Eckehardt, Leibniz, Kant, Heidegger, Freud, Rubinstein und vielen anderen mehr. In der östlichen Welt im Zen, ebenso im Islam und im Buddhismus.

Wie im Westen ist auch im Osten die Erforschung des Bewusst-Seins eng verknüpft mit Religiösität und Spiritualität. 

Hier sind besonders in modernerer Zeit Yogananda, Ramakrishna, Vivekananda und Ramana Maharshi u.a. zu nennen. Am weitesten untersucht, gelebt und geschrieben haben hier u.a. der indische Philosoph Sri Aurobindo und seine Begleiterin und Vertraute „Die Mutter“.

Um eine vergleichende Gesamtschau zwischen Ost und West bemüht haben sich besonders der Mönch Bede Griffith und der amerikanische Philosoph Ken Wilber.

In moderner Zeit hat vermehrt der Versuch stattgefunden, östliche und westliche Erkenntnisse und Forschungen miteinander in Berührung zu bringen und zu verbinden. Dazu haben besonders seit Beginn des 20.Jahrhunderts die Bemühungen der Ökumene, der vergleichenden Religionswissenschaften, das Gesamtwerk C.G. Jungs, der wissenschaftlichen neurobiologischen und physiologischen Forschung und Untersuchungen an lebenden Mystikern beigetragen.

Ich gehe hier aber nur auf die für unsere eigene, innere Erforschung des Bewusst-Seins wichtigen Begriffsdefinitionen ein.

Spirituelle Traditionen unterscheiden heute ganz allgemein zwischen dem Mind– also allen Gedanken, Gefühlen und Wahrnehmungen – und dem Bewusst-Sein selber. Der Mind wird auch oft ganz allgemein mit Ego beschrieben, was aber nicht ganz richtig ist, da das Ego auch den Körper und alles Gegenständliche im Allgemeinen umfasst.

Auch innerhalb des Advaita Vedanta selbst gab es schon sehr früh zwei Richtungen, die hier in ihrer Begriffs- und Erkenntnis-Definition streitend aneinandergerieten. Alles rankt sich darum: 

Was ist Realität, was ist eine Illusion. Wer oder was begreift, erlebt und letztlich interpretiert anschließend wen oder was auf welche Art und Weise.

Ist alles, was entsteht und wieder vergeht, was einen Anfang und ein Ende hat – also auch Körper, Gedanken und Gefühle – eine Illusion, Leela, ein Traum von keinerlei Bedeutung, weil es nicht von Ewigkeit, nicht von Dauer ist? Oder sind sowohl Form als auch Formloses beide gleichberechtigt und wirklich, weil das EINE allem zugrunde liegt, uns nur in verschiedener Form oder Formlosigkeit erscheint, und somit alles einander immer durchdringt, und somit immer nur DAS EINE SEIN IST?

Im westlichen Denken werden oftmals Denken, Verstand, Vernunft, Intelligenz, Intellekt und Bewusstsein als Synonyme verwendet.

Gedanken, Gefühle und Wahrnehmungen sind das, was inhaltlich aus dem Bewusst-sein hervorgeht und als Möglichkeit in ihm enthalten ist. Bewusst-Sein ist hierarchisch das „Höhere“, nicht an Inhalte gebundene, aus dem dann das „niedere“ in Form von Denken in Erscheinung tritt oder treten kann, aber nicht muss.

Bewusst-Sein:

Bewusst-Sein existiert unabhängig von seinen Inhalten und ist von seiner Erscheinung und seinem Wesen her weder eingreifend noch wertend oder urteilend. Bewusst-Sein kann erfahren werden als Weite, als Raum, als Vibration. Es ist eng verbunden mit dem, was ich später genauer beschreiben werde als „der Zeuge“, oder das Zeugen-Bewusst-Sein.

Aber es ist nicht der Zeuge selbst, der Zeuge ist immer noch eine zum Ego gehörende Instanz innerhalb des Egos.

Ich werde hier im Folgenden den Ur-Sprung, den Ur-Grund, die Eine Intelligenz, den Ur-GEIST als das, was aller Schöpfung, allem Materiellen zugrunde liegt als „GOTT“ oder „DAS“ oder „NICHT-HEIT“ oder als GEIST bezeichnen.

Als Bewusst-Sein wird hier die erste Stufe einer Schöpfung oder des Geschöpften bezeichnet. Die eine erste Bewegung, die ursprüngliche Vibration, die alles daraus Hervorgehenden, alle Formen und alle Gestalten, alle Phänomene bewirkt. Diesen eigen sind alle weiteren Eigenschaften und Funktionen, die ich hier im Folgenden als EGO bezeichne.

Ego:

Noch verwirrter und verwirrender wird mit dem Begriff des Egos umgegangen. Im Funktions-System Mensch, das uns hier ausschließlich beschäftigt, umfasst der Begriff Ego die Benennung aller materiellen Erscheinungen, einschließlich des Körpers selbst. Ego ist zu allererst einmal schlicht die Übersetzung des lateinischen Wortes: „Ego“, also zu Deutsch schlicht: Ich.

Der kluge, weise Ramesh Balsekar unterscheidet bei dem Begriff des Ego sehr genau zwischen dem, was er den „working-mind“und den „thinking-mind“bezeichnet.

Von dem Funktions-Bereich des Ego, der mit dem Körper-Mind-Organismus identifizierten ist, und welcher für die fast ausschließlich unbewusst ablaufenden, funktionalen Abläufe im Körper zuständig ist, sagt er: „Ego als ein wirkendes Instrument, als der arbeitende Verstand, muss existieren. Beide, der arbeitende Verstand, ebenso wie der denkende Verstand beziehen sich auf Erinnerungen. Der denkende Verstand bezieht sich auf Erinnerungen aus der Vergangenheit, um Ängste in die Zukunft zu projizieren. Der arbeitende Verstand benutzt Erinnerungen, um mit diesen Erinnerungen die momentane Arbeit gut auszuführen.“

Insofern ist Ego zu allererst nur eine dem Körper-Geist-Organismus zugehö-rende, rein neutrale Funktionsweise, die weder positiv noch negativ ist, sondern nur eine einfache, natürliche Funktion darstellt.

In meiner Darstellung geht es fast überwiegend um den thinking mind,um den Teil des Verstandes, der oft als der plappernde Monkey-Mind bezeichnet wird. Der Teil, der früher oder später zur Ruhe kommen sollte.

Ken Wilber sagt zum ego-Begriff:  „Natürlich können wir Ego definieren, wie wir wollen, solange wir dabei nur konsequent bleiben. Die meisten New-Age-Autoren verwenden den Begriff eher unscharf für das Gefühl, ein gesondertes und vereinzeltes „ich“ zu besitzen, von anderen ebenso getrennt wie vom Grund des GEISTES. Leider unterscheiden fast alle dieser Autoren nicht zwischen prä-egoischen und trans-egoischen Zuständen, weshalb dann auch ihre Heilsempfehlungen mindestens zur Hälfte eigentlich Regressions-Empfehlungen darstellen, ein Umstand, der klarer denkende Geister mit Recht beunruhigt.“

 Diesem Umstand ist es auch beklagenswerter weise zu verdanken, dass die oftmals auftauchenden, sogenannten „spirituellen Krisen“ sehr oft falsch interpretiert und meist gar nicht erkannt oder diagnostiziert werden. Und das von zwei Seiten gleichermaßen.

Einmal von der Seite der traditionellen Psychiater, die sich als klar und sachlich-logisch handelnde Denker verstehen. Die nach wissenschaftlich erprobten und „bewiesenen“ Kriterien zu urteilen glauben, und alle anderen, nicht nach diesen Kriterien einzuordnende Symptome als pathologisch interpretieren. Erkennen diese, dem westlich-wissenschaftlichen Weltbild verpflichteten Psychiater generell keine mystischen, transpersonalen Erfahrungen an, dann interpretieren sie die auftauchenden Symptome als frühe narzisstische, als Borderline oder psychotische Krankheitsbilder. Dadurch kann es dann zu dauerhaften Enttäuschungen, Verdrängungen, oder sogar, wenn medikamentös eingegriffen wurde, zu bleibenden Depressionen, Psychosen oder anderen psychischen Störungen kommen.

Andererseits ist das Resultat meistens genauso verheerend wie bei den Psychiatern, wenn unbedarfte, psychologisch völlig unerfahrene sogenannte „erwachte Lehrer“, Esoteriker und „vagabundierende“ New-Ager und auch viele Neo-Advaita-Anhänger sich mit emotionalen, psychiatrischen Krankheitsbildern konfrontiert sehen, diese dann aber aus schierer Unkenntnis oder aus „pseudo-spirituellen“ Allmachts-Fantasien heraus ebenfalls nicht als solche erkennen oder diagnostizieren können, geschweige denn behandeln können.

Bleibende Schäden, bei den davon Betroffenen bleiben dann von beiden Gruppier-ungen aus Ablehnung, Unkenntnis oder Vorurteil unerkannt und unbehandelt be-stehen. Und so verlängert sich viel unnützes Leid bei dem einzelnen Menschen.

Ich werde hierauf noch differenzierter in dem Kapitel über das Super-Ego und den Abgrund eingehen.

Diese Konflikte sind zum großen Teil auch dadurch aufgetaucht, dass unreflektiert und unverstanden von vielen Menschen östliche und westliche Traditionen beliebig durcheinander gekugelt, geglaubt, gedacht und gefühlt wurden und immer noch werden.

Somit ist das nicht nur für das „spiritualisierte Ego“ eine seiner liebsten Beschäftig-ungen, sondern ganz allgemein auch bei jeder Art von undifferenzierten Meinungen und Theorien vorzufinden. Der Ego-Ersatz-Mangel ist durch eine Art „Instant“- Schnellaufgussmix („Instant“, wie „Instant-Kaffee“ oder „Instant-Brühe“…) zu einer scheinbaren Edel-Vollwert-Marke mutiert, mit der sich viele der Ego-Begierden abdecken lassen. Auf beiden Seiten: Vom Verkäufer ebenso wie vom Käufer.

Merke:

Ozeanische Gefühle von All-Einheit, Erfahrungen von Licht, grenzenlosem Raum und Zeitlosigkeit sind immer noch Interpretationendes Ego-Zeugen-Bewusst-Seins.

Teil 2

Das Ego

Das Ego und der plappernde Mind

Das „Ego“ im engeren Sinne ist ein neuerer Begriff für das, was wir als die „Persona“, als „ich“ bezeichnen. Sie tritt ab der mystischen Phase klarer erkennbar hervor.

Diese Person, unser Name, der Beruf, unsere Beziehungen, unsere Ahnenreihe, unser Land, unser Universum werden landläufig als die Identität eines Menschen angenommen.

Person leitet sich ab vom Lateinischen „persona“, die Maske, verbunden mit dem Verb „per-sonare“, welches: hindurch-tönen, erklingen bedeutet.

Es waren in der klassischen griechischen Tragödie die Masken, die die Darsteller des Tragödientheaters trugen, um „allgemein menschliche Charaktere“darzustellen, keine Individuen im heutigen Sinne.

Vor den wirklichen, den wahren oder echten Gesichtern tragen wir also Masken, durch die das Selbst hindurch tönen muss.

Damals war es den Dichtern schon deutlich, dass Menschen einander nicht direkt, unmittelbar begegnen, sondern, dass sie sich so präsentieren, wie sie gesehen werden wollen, oder wie sie meinen, dass die anderen sie sehen wollen und sollen.

Das heißt, sie versteckten – und sie tun es bis heute – ihr wahres Sein hinter einem Schleier, hinter einer Maske.

Eine erste Bewusstwerdung findet statt, wenn wir erkennen, dass wir unser wahres Gesicht, unser SEIN fast immer hinter einer „Ego-Maske“ verstecken.

Sehr selten zeigen wir „unser wahres Gesicht“. Die meisten Menschen „ver – stellen“ sich zum ersten Mal nicht mehr nur im Angesicht ihres eigenen Todes. Und selbst dann kämpfen manche noch fast bis „zur letzten Minute“, um den Schein einer besonderen, individuellen Persönlichkeit aufrechtzuerhalten. Wir täuschen das aber nicht nur vor anderen Menschen vor, sondern – und dessen sind wir uns meistens in keiner Weise bewusst – wir verschleiern es am allermeisten und am wenigsten bewusst vor uns selber. Das tun wir natürlich nicht immer und überall, sonst könnten wir kaum noch atmen. Die meisten Menschen können sich – GottseiDank – zum Beispiel der Schönheit eines Sonnenuntergangs nicht entziehen, oder sie geben sich der Andacht in eine Bachsche Kantate wirklich Gedanken-verloren! hin.

Wir haben nicht gelernt, zu wissen und zu erkennen, dass wir diese Masken tragen. Es hat uns niemand gesagt. Wir konnten es nicht erkennen, weil alle anderen Menschen um uns herum auch diese Masken trugen und meistens immer noch tragen.

Es ist wie die alte, weise Geschichte, die der indische Weisheitslehrer Ramakrishna erzählt: „Vom Löwen, der unter Schafen aufwächstund sich dort verhält wie alle anderen Schafe auch. Anstatt zu brüllen, wie es seine natürliche Art wäre, blökt er mit den Schafen wie ein Schaf. Bis er eines Tages einen anderen Löwen trifft. Der Schaf-Löwe erschrickt sich fürchterlich vor ihm und fängt vor Angst ganz jämmerlich zu blöken an. Der alte Löwe lacht schallend, aber das verstärkt die Angst des anderen umso mehr. Schließlich packt der alte Löwe ihn und schleppt ihn an einen See, und brüllt ihn an, was hast du solche Angst vor mir, und was blökst du wie ein Schaf, du bist doch genau wie ich. Und er zwingt ihn, in den Spiegel des Sees zu gucken und dort sein eigenes Löwen-Gesicht zu erblicken. Da erst erkennt der Schaf-Löwe endlich seine wahre Natur. Und freudig staunend brüllte er sein schönstes Löwengebrüll ins Universum“.

“Wake up and roar”, wie Poonjai es sagt.

Je älter wir werden, desto mehr identifizieren wir uns mit den Eigenschaften, die diese Maske ausmachen. Die Maske setzt sich in ihren Eigenschaften sowohl aus hellen als auch aus dunklen Aspekten zusammen. Nicht alle sind uns bewusst.

Oft passiert es erst durch Misserfolge, durch Krankheiten, durch Unglücke, durch existenzielle Veränderungen, dass wir mit „Schatten-Seiten“ in uns konfrontiert werden, von deren Existenz wir bis dahin nichts geahnt hatten.

Schattenseiten können beides, sowohl gute wie schlechte Seiten sein.

Das Ego denkt, fühlt, bewertet und erlebt sich selbst, seine Mitmenschen und seine Umwelt immer in Gegensatz – Behauptungen. „Ja oder nein“. „Einerseits oder andererseits“. „Gut oder böse“. „Richtig oder falsch“. „Angenehm oder unangenehm“.“ „Erwünscht oder unerwünscht“.

Die meisten Menschen in der westlichen Zivilisation orientieren sich – überwiegend allerdings vollkommen unreflektiert, unwissend und blind – an diesen Maßstäben- Von diesem Wertesystem werden unser Selbst-Wert-Gefühl und unser Selbst-Bild, welches eigentlich besser „Ich-Bild“heißen müsste, sowohl bewusst als auch unbewusst, weitestgehend gebildet, bestimmt und geprägt.

Belohnung und Strafe, Wohlbefinden ebenso wie Unwohlsein erfolgen innerhalb dieses Systems. 

Das Ego besteht entwicklungsgeschichtlich aus einer genau zu definierenden und erkennbaren Struktur. Seine emotionale und intellektuelle Funktionsweise ist immerdual, das heißt, das Ego wägt immer ab zwischen für und wider.

Das Ego ist aber keine frei denkende Unabhängigkeit, es bezieht seine Inhalte immer aus vergangenen Erfahrungen, bzw. seine interpretierende Erinnerung an diese Erfahrungen. 

Durch deren Erkennen, Strukturieren, Bewerten und Einordnen versucht es Schlüsse zu ziehen für eine konfliktfreiere Zukunft.

Es ist ständig bemüht „Lust zu erleben und Unlust zu vermeiden“, wie Freud es formulierte. Dieses Erkennen, Bewerten, Einordnen findet auf verschiedenen Ebenen innerhalb des Systems Ego statt: Auf der Ebene des Körpers, der Ebene der Gefühle und der Ebene des Denkens.

Wichtig ist, dass wir uns der dualen Funktionsweise der Ego-Strukturbewusst werden, ohne dass wir dabei in die Falle eines wertenden, urteilenden oder strafenden inneren Richters (Super-Ego) geraten. Innerhalb jeder der verschiedenen Ebenen setzt sich das Ego letztlich zusammen aus dem, was schon Freud das Es, das Ich und das Über-Ich nannte. Als „ES“ benannte er das gesamte bewusste und das unbewusste Triebgeschehen, als „ICH“ die gesamte Persönlichkeitsstruktur und als „ÜBER-ICH“ die wertende, urteilende, moralische Instanz.

Hinzuzufügen ist noch das kollektive Unbewusste, wie es von C.G. Jung benannt und erforscht wurde. Alle Ebenen setzen sich zusammen sowohl aus bewussten als auch aus unbewussten Anteilen. 

Das Ego-System ist eine sich innerhalb des eigenen Systems selber stets verändernde, nach Verbesserung suchende und nach Erleichterung strebende Kombinations-Variations-Maschine.

 Jede Ego-Wahrnehmung an sich beinhaltet per se eine Beurteilung oder eine Bewertung, da sie nie die Erfahrung selber wiedergibt, sondern immer bereits eine „sich-erinnernde“ gefärbte Interpretation der Erfahrung ist. Jede an sich bereits beurteilende, bewertende und annehmende oder ablehnende Ego-Wahrnehmung wird automatisch innerhalb des Systemsselber sofort wiederum einer Art übergeordneten, noch höheren Ego-Überwachungs-Instanz, einer Art innerem Richter dargebracht. Dort wiederum findet nun erneut Zensierung, Bewertung, Belohnung oder Bestrafung statt. Dieser Prozess kann sich bis ins Unendliche fortsetzen. Man könnte diesen Prozess eigentlich ganz einfach eine „trial-and-error“ Situation nennen. Was nützt wird beibehalten, was schadet wird verworfen.

Am Schluss endet jede Ego-Wahrnehmung entweder mit einer Verurteilung oder einer erneuten, vergleichenden Überprüfung aller bisher zur Verfügung stehenden Fakten. Der ewige Kommentator, der Kritiker ist immer dabei. Eine Art Ego-Big-Brother-Is-Watching-You-System. George Orwell lässt grüßen.

Welche Ermüdung sich schon beim Lesen und der Beschreibung dieses Ego-Prozesses einstellt, kann jeder Leser an sich selber leicht feststellen. Und wie sehr wir es manchmal leid sind, so einem System zu folgen. Aber meistens reicht es nur für einen kläglichen Ausbruchsversuch am Wochenende, zu einer Saufpartie, zu einem Fremdgehen, einer rotzigen Antwort zu unserem Chef. Sogleich folgt der schlimme Kater, wenn wir am nächsten, ernüchterten Morgen bemerken: Oho, der Richter steht schon samt Richterstab am Bett, ehe wir überhaupt richtig wach-werden konnten. Noch mehr Frustration, nun auch noch Schuldgefühle und dazu unerträg-liche Kopf-Denk-Schmerzen. Ein hilfloser Versuch das System auszutricksen, wieder einmal gescheitert.

Diese inneren Richterstimmen werden nun in spirituellen „Kreisen“ fälschlicherweise allzu oft als eine imaginierte „Stimme Gottes“, eines „Engels“ oder eines „Höheren Selbst“ interpretiert oder damit verwechselt. Oder, was meistens noch verwirrender erscheint, sie verwechselndiese sich ständig sich immerzu einmischende, kommen-tierende Stimme des vielstimmigen, inneren Super-Egos mit der Stimme des objektiven, ruhenden, gleichmütigen Beobachters.Soweit dieser Auswahlprozess sich auf alle materiellen Ebenen bezieht, ist dieses Verfahren bis zu einem gewissen Grad zur Erhaltung des Lebens sicher äußerst sinnvoll und nützlich gewesen.

Aber allerspätestens seit der Erfindung und der Anwendung der Atombombe und dessen, was Marx „die schwere Industrie“ nennt, sind die Schmerz-Grenzen eines solchen auf Verbesserung ausgerichteten Systems deutlich sichtbar geworden.

Fast das gesamte vergangene Jahrhundert hat sich mit technischen Verbesserungen und ebenso mit der Kritik eben dieser Verbesserungen beschäftigt.

Umfassende Untersuchungen auf fast allen Ebenen des Lebens hat bereits in den 60er Jahren der „Club of Rome“ vorgelegt. (Später weiter verfolgt und erforscht durch Ervin Laszlo, dem Begründer des Club of Budapest).

Es gibt nun mehrere Möglichkeiten mit diesem „Ego“ umzugehen. Entweder ihm schlicht und ergreifend zu folgen, es für „wahr“ zu halten, oder es einfach als „illusionär“ zu leugnen. Das eine, ebenso wie das andere wird von vielen Menschen unreflektiertso gehandhabt.

Der illusionäre Charakter des Ego wird in sogenannten esoterischen und auch in sich fälschlicherweise als „spirituell“ bezeichnenden Kreisen einfach mental nachge-plappert, um sich der schmerzhaften und oft beschämenden Erkenntnis zu widersetzen: Dass wir einem Betrüger aufgesessen sind.

Und dass wir des Weiteren alle Verträge mit dem Ego – fast – freiwillig unterzeichnet hatten. Und dass wir nun im Erkennen dieser Ego – Lügen unsere Schulden bezahlen könnten.

 Einfach und doch so schwer, indem wir unsere Schuld-en annehmen, das heißt erkennen, und mit dem diese Schulden zugeben „Buße tun würden“,und damit, im Beenden des Ego-Vertrages, die Erlösung erlangen könnten. Wir wären endlich wirklich “Schuld”- en-frei.

Aber vorher müssen wir die bittere Pille der Eigen-Lüge vollkommen schlucken, um die Wahrheits – Gesundung zu erlangen. Anders geht es nicht, egal was unbe-stimmte, verführerische „Bestellungen beim Universum“ uns auf dieser Stufe der Entwicklung vorgaukeln wollen. Als die Sünderin in der Bibel Jesus fragt, wie sie denn Buße tun solle, antwortet er: Erkenne, und sündige hinfort nicht mehr. Kein Strafgericht, keine Verdammnis wird angedroht: nur dieses barmherzige, tröstliche: Und sündige hinfort nicht mehr. In der Beichte der katholischen Kirche taucht dieses in etwas anderer Form noch auf.

Wir müssen zuallererst die Realität des Ego anerkennen, selbst dann, wenn wir meinen, seinen illusionären Charakter intellektuell ! verstanden zu haben.

Wir können jederzeit damit beginnen, das Ego infrage zu stellen, es zu erforschen, zu untersuchen. Aber nicht mehr seine Inhalte, seine Erfahrungen werden nun unser Untersuchungs-Gegenstand sein, dieses tun schon alle Wissenschaften, alle Psychologien, leider inzwischen auch fast alle Künste.

Unser Anliegen ist es hier seine Ingangsetzung, seine Entstehung, seine wahren Motivationen zu untersuchen und zu durch-schauen. Um dann, am Ende jeder Untersuchung, seines illusionären Charakters gewahr zu werden.

Wie Eckhardt Tolle sagt: „Der Verstand an sich ist ein hervorragendes Instrument, wenn er richtig benutzt wird. Bei falschem Gebrauch kann er allerdings sehr destruktiv werden. Genauer gesagt, ist es nicht so, dass du deinen Verstand falsch gebrauchst – du gebrauchst ihn normalerweise überhaupt nicht. Er gebraucht dich.Das ist die Krankheit (oder: die Lüge): Du hältst dich für deinen Verstand. Das ist die Wahnidee. Das Instrument hat die Macht über dich gewonnen.“

Sri Aurobindo, der endlose, unendliche Meister, ein westlich erzogener indischer Hindu, nennt ihn, den Verstand, schlicht „den Widersacher“. Er sagt: „Diesen Widersacher, verankert in der menschlichen Brust, muss der Mensch besiegen lernen oder er verfehlt sein höheres Schicksal. Das ist der unentrinnbare innere Krieg.“

Chögyam Trungpa, der große buddhistische Lehrer dazu: „Viele Menschen machen den Fehler zu glauben, da das Ego die Wurzel des Leides ist, müsse das Ziel der Spiritualität darin bestehen, das Ego zu überwältigen und zu vernichten. Sie kämpfen darum, die schwere Hand des Ego auszuschalten, aber wie wir bereits festgestellt haben, ist dieser Kampf lediglich eine andere Ausdrucksform des Ego.“

Und Llewellyn Vaughan-Lee, der wundervolle Sufi-Meister und Nachfolger Irina Tweedies sagt kurz und bündig: „Das Ego kann nicht sterben“.

Wann aber wird aus einer rein materialistischen Funktion das denkende Ego “ein Feind” deines Seins, deines Lebens und des Lebens schlechthin? Erst, und nur dann, wenn du dich fälschlicherweise mit seinen Inhalten zu identifizieren beginnst. 

Wenn du “glaubst”, dass du dieses Ego und seine Inhalte, die es sich selbst immer wiederholenden Geschichten, dass du das seiest. Ego an sich ist leer, illusionär, einfach eine arbeitende Funktion des Systems “Materie”. Ein komplexer, arbeitender, ausführender, vernünftiger Diener der einen großen, unendlichen Intelligenz.

Der kleine Intellekt, welcher der großen Intelligenz in ihren mannigfaltigen Erschei-nungs-Formen gewissermaßen als Vereinfacher und funktions-gerechter Übersetzer dient. Der “kleine Geist” der Endlichkeit als Erscheinung im “großen Geist” der unendlichen Unsterblichkeit.

Das Ego kann schlau und frech, kombinierend und erinnernd, urteilend und bewertend, lobend und strafend und vieles andere mehr sein.

Was es aber nicht kann, ist: Aus sich selbst herausursprünglich, kreativ, wahr, weise, wirklich, intelligent und mitfühlend sein. Das was also stirbt und definitiv sterben muss, ist die falsche Identifizierung mit dem Ego und das Verhaftet-Sein an das Ego. Der falsche „Glaube“, dass ich sei, was das Ego behauptet: Ich sei der Körper, ich seidie Gedanken, ich sei die Gefühle und ich seider Verstand und seine Wahrnehmungen. Dieses muss durchleuchtet und als „Aberglaube“ erkannt werden.

Das allein ist die große Illusion, ist der große Gaukler, ist der Wahn-Sinn, dem das Ego selbst, wie jeder andere „ganz normal Wahn-sinn-ige“, Sinn verleihen möchte.

Tolle fährt fort: „Die Freiheit beginnt, wenn du erkennst, dass du mit dem Verstand, dem Denker – dem Ego – nicht identischbist. Diese Erkenntnis befähigt dich, den Denker zu beobachten.“

Von nun an bist du erst einmal mit dem beobachtenden Beobachter identifiziert.Die Art seines Beobachtens ist:

 „Ohne Schuld, ohne Urteil, ohne Strafe, ohne Vergleich“ (Black Elk).

Nicht mehr das, was der Mind, was das Ego, was der Verstand dir inhaltlicherzählen will, erweckt nun dein Interesse, sondern das, was 

die Motivationenhinter den unendlichen Geschichten sind. Das, was die Ursache für den Erzähler ist, andauernd seine Geschichten zu erzählen. Anders gefragt: „Wieso plappert der plappernde Mind eigentlich andauernd?” Antwort: Weil er eben plappert …

Nun endlich beginnst du dich dafür zu interessieren, was sich hinter den jeweiligen in tausend Variationen sich immer wiederholenden Gedankenketten verbirgt, was diese sich daran anschliessenden, unendliche Gefühlsketten hervorruft.

Wenn du Glück hast, beginnst du zu erkennen: Dass du versuchst, einem der drei Grund-Gefühle menschlicher Existenz zu entkommen: Einer Ur-Wut, einer Ur-Angst oder einer Ur-Scham. Du willst hinter die Vorhänge der Materie schauen. Die EINE wirkliche Wirklichkeit beginnt, deine Aufmerksamkeit immer mehr zu erregen und anzuziehen.

Es ist der Beginn des Erkennens der einzigen, riesengroßen existenziellen Lüge, des einen fälschlicherweise gedachten Gefühls des Getrenntseins von deinem UR-SPRUNG, deiner wirklichen Existenz, dem, was du bist, immer warst und immer sein wirst, egal ob du es weißt oder nicht.

Du könntest auch erkennen, dass du wahrhaft ein „Kind Gottes“ bist, dass das, was du wirklich bist, immer schon gelebt hat, immer schon unsterblich war, und dass dieses eine unglaublich frohe Botschaft und die Befreiung aus einer schrecklichen, beängstigenden, grauen Todeszelle hinein in das ewige Leben ist.

Teil 3

Die Versuchungen

Stop.

Stop and wait and see.

Es gibt für viele Menschen im Verlauf ihres Lebens immer wieder Momente zeitlosen, fraglosen, wunschlosen Daseins, Erfahrungen beseligenden Einheitsgefühls, wunschlosen Erfüllt-Seins.

Es können Naturerfahrungen, Gottes-Begegnungen, umfassende Liebesgefühle für alle Mitmenschen, die Natur und das gesamte Universum sein. Es kann der stillstehende, Zeit und Raum aufhebende, Augenblick der Hingabe an das Ende aller Form am Bett eines Sterbenden, ebenso wie der überwältigende Moment einer Geburt sein.

Immer werden diese Momente als etwas Besonderes, als außergewöhnliche Erinnerungen im Gedächtnis bewahrt.

Aber nur allzu selten erwächst aus solchen „Momenten“, eine bleibende Bewusst-Werdung. Der Mind ordnet diese wahren Momente des Menschseins normalerweise unter „besondere Vorkommnisse“ ein, weiter nichts.

Für viele Menschen, die das unerhörte Glück und die Gnade erleben durften, in die unendlichen, lebendigen Augen eines erwachten Meisters zu blicken, als sie diesen Satz: „Stop and wait and see“, hörten, und ihn zum ersten Mal wirklich er-hörten, stand in diesem Moment des Erkennens die Welt still.

Keine Zeit wurde mehr, es gab keinen Raum mehr der sich er-füllen musste.

Die Ewigkeit war in ihrer ursprünglichen Zeit- und Raum-Losigkeit erkannt.

Das Spiel des Suchens, des Fragens und des immer wieder Verlieren-Wähnens war zu seinem Ende gekommen.

Ein Riss im festen Ego-Gefüge bringt nun  zum ersten Mal Licht in die blind-machende Dunkelheit der fest gefügten, verdunkelten Persönlichkeitsstruktur.

Die Erwartung des Ego war in diesem Moment  – vielleicht eher zufällig, kurz verstummt. Es war nicht mehr in seiner gewöhnlichen, nämlich einer „spirituellen Erwartungshaltung “ gewesen.

Vielleicht hatte auch die Kraft der Stille, die von diesem Meister ausging, für einen Moment dem Verstandesgefüge diesen winzigen Riss zugefügt, der diesen ersten Blick in eine andere, unbekannte Dimension ermöglicht hatte.

Der plappernde Verstand stand für einige Momente still, staunend mit offenem Mund fiel ihm einfach nichts mehr ein.

Ein Lichtstrahl aus einer anderen, weit helleren Quelle als der aus seiner kleinen gewohnten Verstandes-Taschenlampe hatte kurz sein bisheriges Verstehen ins Wanken gebracht. 

Manche wollen es nach einer solchen Erfahrung nun wirklich wissen. Sie beginnen zu forschen, sie untersuchen, sie reißen sich die Finger wund um den Riss in der Ego-Struktur zu erweitern, vielleicht sogar einreißen zu wollen.

Sie sind ein Suchender, ein wirklich Wissen-Wollender geworden. Sehnsucht erfüllt das Herz, das brennende Verlangen nach dem Ewigen, einzigen Geliebten ist endlich gehört worden.

Etliche Zeit ! – Genossen glauben sich nun allerdings nach einem solchen Augen-Blick schon am Ende der Reise, obwohl sie sich erst „Auf halbem Wege zum Gipfel der Erleuchtung“befinden, wie der bezeichnende Buchtitel von Mariana Kaplan heißt, in dem sie die vielen Fallstricke beschreibt, die ausgelegt im egoischen Mind nur lauernd darauf warten, den Suchenden zu Fall zu bringen. Der kurze Blick ins Paradies bedeutet noch lange nicht, dass dauerhaft Einlass gewährt wird.

Sensei Danan erklärt: „Es ist eines dieser Paradoxien: Du siehst, dass es kein Ego gibt, und dann wirst Du aufgrund eben dieser Erkenntnis arrogant. Wenn das Ego sich nicht auf der Hauptbühne befindet, dann wartet es in den Kulissen darauf, wieder auf die Bühne springen zu können.“

Der Eingang zum inneren Frieden, zur Stille, zum Paradies des Seins bleibt unsichtbar und wird dennoch streng bewacht.

Davor stehen der Erzengel Michael mit dem Schwert der Wahrheit in der Hand, oder die Seelen – Prüfwaage der alten Ägypter, oder der wütende Höllenhund Zerberus, oder die gierigen, hungrigen Geister, oder die verführerischen, betörenden Huris, oder streitlustige, sprachgewandte Philosophen, oder warnende, flehende, klagende Mütter, oder, oder, oder. Jedwedes erdenkliche gaukelnde Spiel der Sinne bereitet sich vor: Dich zu täuschen.

Gangaji sagt dazu schlicht: „The tests will come, for sure!”

Oder wie ein schöner Zen-Spruch lautet: „Nach der Ekstase: die Wäsche.“

Lord Pentland warnt und muntert auf: „Du musst mehr sehen, wenn Du gesehen hast. Wenn Du erwachst, dann musst Du noch einmal erwachen. Versuche, diesen Widersacher zu verstehen. Strenge Dich an, kämpfe nicht mit ihm, sondern schaue, woraus er gemacht ist. Leiste keinen Widerstand, sondern durchschaue seine Falschheit. Versuche zu erkennen, wenn Du in tieferen Schlaf gefallen bist. Schaue in das Gesicht des falschen Mannes – versuche nicht ihn in die Flucht zu schlagen oder ihn dahin zurück zu verfolgen, wo er herkam. Versuche stattdessen zu sehen, woraus er besteht, welche Lügen er erzählt, welche Falschheiten.“

Always be a beginner! Bleibe immer Anfänger!

Das Ego schlüpft, wie alle begabten Schauspieler, in jede Rolle, die das Leben ihm anbietet. Das Ego ist ein begnadeter Imitator. Das Ego ist nie zufrieden. Es reißt sich alles unter den Nagel, was es nur kriegen kann. Und Erleuchtung ist ihm gerade gut genug. Also her damit. Es ist immer gefräßig, es ist immer größen-wahn-sinnig, es ist hochbegabt. Es will immer alles und davon immer mehr. Und um das zu bekommen, kennt es nur das eine einzige Gesetz, sein eigenes.

Das Ego lärmt, es schmeichelt, es schimpft und zensiert, es treibt an und es behin-dert, es vergleicht und es zermürbt, es ist schlau und gerissen, es belobigt und es bestraft, es debattiert endlos und es schweigt beleidigt. Es führt seine eigenen Be-hauptungen ad absurdum, und es beschönigt schamlos seine Niederlagen. Es erschafft ständig und reißt ebenso beständig alles wieder ein.

Es befindet sich in unendlichem Wandel, es erschafft sich immer neu, immerzu.

Es ruht niemals, es hat nie genug.

Sein Werkstoff sind die Wiederholungen der eigenen Gedanken, der eigenen Gefühle und der vergangenen Wahrnehmungen.

Das Ego ist selbstgerecht wie ein absolutistischer Herrscher. Es vermag alles zu seinen eigenen Gunsten oder Ungunsten zu benutzen.

Eckhardt Tolle sagt: „Das Ego findet schnell eine neue Form. Dass diese Form eine zutiefst unglückliche Wahl ist, kümmert das Ego nicht weiter, solange es nur eine Identität hat, sei sie gut oder schlecht.“

In meinem eigenen Leben, ebenso wie in meinen langjährigen Gesprächen mit Suchenden sind mir diese schrecklichen Melodramen, diese großartigen Schauspiele, diese atemberaubenden „Ausreden“, diese verschlungenen Fluchtwege, diese vielfarbig schillernden Ego-Trickster in allen erdenklichen Formen, Figuren, Sprachen und Behauptungen immer wieder begegnet. Und ich bleibe darauf gefasst, dass sie es bis zum Ende dieser „meiner“ Form immer wieder versuchen werden: mich zu umgarnen, mich zu verwirren, mir Angst, Scham oder Wut anzubieten. Es ist der „Job“ des Ego dieses zu versuchen. Aber ich bin darauf vorbereitet. Denn wie Papaji antwortete, als er gefragt wurde„Are you still vigilant? Until the end of my life!“ Bist du immer noch wachsam? Bis ans Ende meiner Tage!

Llewellyn Vaughan-Lee, der große Sufi-Lehrer sagt: „Die meisten Menschen wollen keine spirituelle Arbeit, weil sie diesen langsamen Prozess, der sie zermahlt nicht wollen. Er ist sehr unangenehm. Sehr schmerzhaft.“

Viele, die nach Wahrheit, Erwachen oder Gott suchen, sind zu Beginn durchaus auf-richtig und gewissenhaft, aber die unumgängliche Konfrontation mit den Wider-wärtigkeiten des Ego fällt ihnen oft zu schwer, oder aber der schonungslose, entlarvende Blick in den Spiegel lässt sie zu Eis erstarren.

Chögyam Trungpa sagt in „Spirituellen Materialismus durchschneiden“: „Wenn wir uns einmal dem spirituellen Weg verpflichtet haben, dann ist das sehr schmerzhaft, und wir können uns auf etwas gefasst machen. Wir haben uns dem Schmerz verpflichtet, uns selbst preiszugeben, unsere Kleidung abzulegen, unsere Haut, unsere Nerven, unser Herz, unser Gehirn, bis wir dem Universum preisgegeben sind. Nichts wird übrig bleiben.“

Denn es gibt nur diesen einen Weg, alle Falschheit, jede Illusion abzustreifen. Bedingungslose, unerbittliche, radikale Wahrheitsliebe zu: sich SELBST zu entwickeln.

Nur eines bringt das Ego zu Fall, beendet sein dunkles, zweitrangiges Regime.

Wenn es befragt, untersucht, durchschaut und dann nicht mehr befolgt wird. Wenn ihm niemand mehr glaubt. 

Das Schlimmste für das Ego ist, wenn sein eigentlicher Inhalt erkannt wird. Nämlich, dass es nur eine Verkleidung, eine Maskierung, ein Schmierenkomödiant in einem drittklassigen Melodram verkörpert. Kurz: Wenn sein illusionärer Charakter entlarvt wurde.

In dem Moment, in dem das Licht im Zuschauerraum wieder aufleuchtet, ist sein Spiel zu Ende. Die Bühne ist geräumt.

Wie Krishnamurti so wunderbar sagt: „Wir werden sehen, dass die Leere sich nicht von uns selbst unterscheidet, dass der Beobachter das Beobachtete ist. In dieser Erfahrung, in dieser Integration des Denkers und des Denkens, verschwindet jede Einsamkeit, jede Qual.“

Der vermeintliche, anmaßende, maßlose Herrscher ist demütig und bescheiden wieder zum ergebenen, gehorsamen Diener geworden, der er schon immer war. Die harmonische, göttliche Ordnung des Seins ist wieder hergestellt.

Was bleibt, ist eine wohltuende Leere und heilende Stille.

Teil 4

Die Identifikation mit dem Inhalt

Super-Ego

Wie eng Genie und Wahn-Sinn (Wahn-Sinn: Einem Wahn, einer Einbildung Sinn geben, hängt zusammen mit wähnen, wahn-witzig, welches soviel bedeutet wie: Des Verstandes mangelnd, auch: Irr-Sinn: Sich irren in der Sinn-Findung, dessen was ich wahrnehme) tatsächlich beieinanderliegen und von den Betroffenen immer wieder verwechselt werden, erfuhr ich nicht nur in meiner Arbeit als Psychoanalytikerin, sondern – noch viel verbreiteter – in den Bereichen, die sich heute als esoterisch, spirituell, kirchlich oder gar als kulturell bezeichnen.

In den sogenannten unteren drei Reichen der Form des menschlichen Körpers: Chakra eins, zwei und drei, dem Bereich der dualen entweder-oder-Behauptungen ist der Mensch noch nicht oder nur begrenzt zu einer Meta-Betrachtung, einer Subjekt-Objekt-unabhängigen Reflexion seiner eigenen Wahrnehmungen, Gefühle und Gedanken fähig. Er kann sich noch nicht als übergeordnet und unabhängig von seinem unmittelbaren Erleben, Fühlen, und Denken erfahren. Bewusst-Sein ist noch unmittelbar von Geschehen abhängig und an Geschehen gebunden. Er erleidet alles Erleben ohne eine Fähigkeit oder eine Möglichkeit eines Abstandes zum Erlebten. Bewusst-Sein ist noch nicht zu sich selbst erwacht, ist sich seiner noch nicht selbst bewusst geworden.

In den ersten, frühen Stufen der Menschheitsentwicklung sind diese Phasen, die den drei unteren Reichen der Chakren entsprechen, ja bereits kulturell und allgemein menschheitsgeschichtlich durchlaufen worden. Dennoch müssen sie nun ebenso noch von jedem einzelnen Individuum in allen Stufen seiner eigenen Entwicklung durchlaufen werden. Es bildet sich hier aufeinander folgend, einander ablösend, archaisches, magisches, mythisches und mentales Erleben, Fühlen und Denken.

Dieses ist alles Betrachtung und Erforschungs-Gegenstand sowohl der theoretischen Erkenntnistheorien als auch der persönlichen Entwicklungs-Psychologie und hier besonders bei Piaget. Wir beschäftigen uns in unserem Zusammenhang nur mit den Auswirkungen, die eine unwissende, unbewusste, aber wirkende Interpretation auf den drei unteren Ebenen des Ich-Bewusstseins hervorrufen können.

Von Freud stammen die Begriffe des Es, des Ich und des Über-Ich. Der Begriff des kollektiven Unbewussten wurde von C.G. Jung geprägt und hinzugefügt.

Freud definierte – grob beschrieben – das ESals den weitgehend angeborenen, körperlichen, überwiegend unbewussten Bereich des körperlich erfahrenen Triebge-schehens, das immer nach unmittelbarer und totaler Triebbefriedigung strebt

(Essen, Trinken, Wärmen, Berührung). Den Bereich des ICH definiert Freud als den Bereich des sozialisationsbedingten „Charakters“ eines Menschen und den Bereich des ÜBER-ICH als den Bereich, aus dem unsere moralischen Normen, Werte und Urteile stammen.

In der neueren spirituellen Literatur wird das Super-Ego als ein weitgehend unbewusstes oder unreflektiertes spiritualisiertes Über-Ichdargestellt und beschrieben.

Es fungiert also ähnlich wie das Norm und Werte gebende Über-Ich von Freud, aber hier im Speziellen wird es als eine Art moralisch-transzendenter „Ober-Entscheider“ über das interpretiert, was als spirituell gut oder böse, als spirituell richtig oder falsch angesehen werden kann. Es gehört somit also unbedingt weiterhin der Ego-Organisation an.

Was nehme ich wann und wie als „Gott“ oder als „Göttliches“ wahr, welches Gefühl bewerte ich als “spirituell richtig und gut”, welches Verhalten wird von mir als spirituell legitim angesehen, welches sichtbare Geschehen beurteile ich als spirituell richtig, welches als falsch. Welche subjektiv erlebte Erfahrung deute ich als „eine spirituelle“.

Es gibt da mannigfaltige Möglichkeiten, was das Ego so an-nimmt, sich aus-malt oder vor-stellt.

Beispiele: Jesuslatschen tragen, in einer Kutte rumrennen, in einer Höhle hausen, Rasta-Locken tragen, Dauerfasten, verklärter Blick, niemals laut werden, immer freundlich grinsen, keinerlei Bedürfnisse haben, ohne essen oder trinken aus-kommen, alles können, nichts tun, kein Fleisch essen, vegan leben, Wunder vollbringen, immer gesund bleiben, niemals krank werden, heilen können, keine Sorgen mehr haben, kurz: Alles Irdische an den Körper gebundene Geschehen ist überwunden, ereignet sich nicht mehr … usw.usw. Jesus ist gar nicht am Kreuz gestorben, und wehgetan haben die Nägel in Händen und Füssen auch nicht. Na dann.

Das Super-Ego setzt sich aus mehreren Entstehungsebenen oder Abfolgen zu-sammen: Der Wahrnehmung, als dem unmittelbaren Erleben, den daraus resul-tierenden Lust oder Unlust Re-Aktionen, (will haben – will nicht haben) den sich hieraus ergebenden Gefühls – Bewertungen (ist gut – ist böse) und den sich daran anknüpfenden beurteilenden Denkmodellen (ist falsch und ist richtig).

Das Super-Ego hat sowohl bewusste als auch unbewusste Anteile. In allen diesen drei Bereichen – Wahrnehmen, Fühlen und Denken – erfolgen Re-aktionen, werden „Be-haupt-ungen“ aufgestellt oder „Mein-ungen“ gebildet, und dann von dem Körper-Ego angenommen oder abgelehnt, von dem „Meinungs-bild-ner“ als gut oder böse eingestuft, und dann von dem „Be-haupt-er“ selber oder von anderen unreflektiert geglaubt und weiter gegeben, ohne das jemals deren Ursache und Hintergründe oder Motivationen überprüft, erforscht oder selber erlebt wurden.

In den einzelnen Wörtern verstecken sich bereits die Hinweise darauf, dass es nur rein äußerlich scheinbar um den Inhalt der Meinungen oder Behauptungen geht.

Im Wort „Behauptung“ steckt der Begriff „sich behaupten“, „den Kopf oben behalten“. Seine Bedeutung stammt her vom mittelalterlichen: „houbet“, was soviel heißt wie: „das Oberhaupt, der Herr“. Was sich im ausgehenden Mittelalter dann verfestigte zu einer Staatspflicht „cuius regio, eius religio“. Der, der die Macht hat, das Gebiet besitzt oder befehligt, dessen Religion haben seine Untertanen zu „gehorchen, zu glauben und zu befolgen“.

In unserem Zusammenhang wird das Denken im dritten Chakra, den Enneagram- Denk-Typen 5-6-7 so gebildet. Die Urteile „richtig oder falsch“ entstehen so. Was so viel bedeutet, dass der, welcher der Kopf, der Oberindianer, der Bestimmer ist, dann auch derjenige ist, der bestimmt, was als verbindlich von allen gedacht und befolgt werden darf und muss. Hier wird „das tut man, jenes tut „man“ nicht“ gedacht und gelebt, dessen radikalster „man“-Vertreter sich im Ego einer Enneagram 6 manifestiert.

Ein Meinungs-Bildwiederum bezieht sich auf das 2. Chakra, den Gefühlsbereich, den Enneagram-Fühl-Typen 2-3-4. Hier werden die Gefühle in Form von Bildern entwickelt. Hier verbergen sich die Gefühle einer „moral majority“, Vorurteile, Ressentiments, Glaubensmeinungen entstehen hier. Hier geht es nicht mehr um „richtig oder falsch“, sondern weit unbewusster um „gut und böse“. Hier entspringt, was eine Gesellschaft, eine Glaubens-Gruppierung, eine ethnische Gruppe, eine Familie innerhalb dieser jeweiligen Gruppierungen hinsichtlich des gezeigten und gelebten Verhaltens ihrer einzelnen Mitglieder moralisch, intellektuell und beziehungsmäßig akzeptiert und duldet oder bestraft und verurteilt.

Also hier im noch unbewussten, noch nicht erforschten Super-Ego-Bereich werden die vielen durcheinanderlaufenden rationalisierten und dann als spirituellerlebten oder geglaubten Meinungen und Überzeugungen gebildet.

Unendlich viele, auf eine übergeordnete „Instanz“, eine außerhalb seiner selbst im Universum, im Himmel, in den Wolken residierende personale Gottheit projizierten transzendente Sehnsüchte, Wunschvorstellungen und unerfüllte Hoffnungen entspringen dieser Funktion.

Jedes, sich noch als vom Ursprung getrennt erlebende Individuum, muss fast folgerichtig entweder ein theologisches, ein agnostisches oder auch atheistisches Super-Ego erfinden, um eine Orientierung innerhalb seines noch unbewussten Erlebens herzustellen. Ein Ego muss sich Er-denken, muss sich Er-fühlen. Täte es das nicht, würde ein so unerträgliches Vakuum im Erleben entstehen, das dieses kein oder nur ein kaum erträgliches Überleben ermöglichte.

Meistens erfolgen die ersten Bewusst-Seins-Veränderungen also tatsächlich aus den Bereichen des aufdämmernden Bewusst-Werdens der Super-Ego Überzeugungen und Glaubenssätze. Das, was Eltern-Imagines, kirchlich-religiöse Glaubenssätze und gesellschaftliche Forderungen vorgegeben haben, wird zum ersten Mal aktivbewusst infrage gestellt und hinterfragt.

Aber der denkend forschende Geist muss sich der verschiedenen Organisationen: Ich, Es, Über-Ich innerhalb des gesamten Ego-Aufbaues bewusst werden. Ich, Es, Über-Ichverbergen sich in allen Ebenen und treten auf allen Stufen zutage.

In der Ablehnung oder der Überhöhung des ES, dem gesamten Triebgeschehen bilden sich dann körperliche Exzesse wie Askese, Sexualfeindlichkeit oder über-triebene Sexualfreizügigkeit, mangelnde Körperpflege oder übertriebene Schönheitsvorstellungen usw.

Schon Buddha erforschte diese Bereiche und entwickelte hieraus seine Lehre eines „mittleren Weges“. Werden diese ES-Bereiche nicht als solche bewusst erkannt, bilden sie oftmals den unbewussten Bodensatz für die Grundlagen der ÜBER-ICH-Inhalte. In der dem Einzelnen oder einer Gemeinschaft nicht bewusst gewordenen Unbewusstheit des Über-Ichs verbergen sich die beschriebenen „spiritualisierten“ Super-Ego Vorstellungen.

Das heißt, seine nicht erkannten, unbewusst ersehnten Erlösungs-Fantasien an sich selbst, oder an einen „Guru“ oder Lehrer werden von dem Suchenden als „göttlich-gewollte“ und als „Gott-zugehörende“, spirituell-transzendente Eigen-schaften, Verhaltensweisen, Sehnsüchte, Hoffnungen, Wunsch-Erfüllungs-Träume und Illusionen falsch gedeutet. Diese werden somit nicht als dem magisch-mythischen Denken und Fühlen zugehörende, verbrämte Super-Ego-Inhalte erkannt, da diese rationale Stufe der Entwicklung noch gar nicht erreicht worden ist.

Der so Verhaftete ist vollkommen überzeugt von seiner „Deutung“, die er aber nicht als solche erkennen kann, und von der er deshalb dann auch kaum abzubringen ist. Er ist noch nicht in der Lage zu durchschauen, dass das Erlebte immer noch Ausdruck von ganz natürlichen Funktionsweisen des magisch-mythischen Egos und seines Ober-Aufsehers des Super-Egos ist.

Das Super-Ego selber leugnet schlicht und ergreifend das Erleben eines Körpers und seiner dazu gehörenden hierarchischen Entwicklungs-Wahrnehmungsformen.

Es versucht mit höchster Willensanstrengung, diesen zu vermeiden.

Viele Formen des traditionellen Yoga und sehr viele Vorstellungen der verschied-ensten fundamentalistischen Ideologien haben hier ihren Ursprung.

Das Super-Ego deutet sich selberals nicht zum Ego-Apparat gehörend. Dass es sich hiermit „System-Immanent“ einer mentalen Deutung befleißigt, will es weder gelten lassen, noch ist es einer solchen Erkenntnis zugänglich.

Es belächelt solcherlei Versuche als bloß „rational“, als nicht erwacht, oder einfach nur als auf seine Aussage und für sein individuelles Erleben nicht zutreffend. Keine weitere Diskussion.

Es werden immer wieder Verhaftet-Sein, Achtsamkeit, Bewusst-Sein und echtes spirituelles Ego-Loses SEIN verwechselt.

Überarbeitete Auszüge aus dem Buch 

Diamantkörper Der Pfad des Lebendigen

Kindlebuch 2012